Zwischendrin

Carlos Gardel, Tangosänger – wer ihn noch im Ohr hat oder gar im Herzen trägt, wird ihn sofort wiedererkennen, zumindest seinen Hut über dem Profil – Gardel ist einer der alten uruguayischen Heroen des frühen 20. Jahrhunderts. Ihn also möchte die abgebildete Collage zeigen; die wohl noch lange (nach)wirkenden Folgen aus den Beschränkungen, Coronamaßnahmen seit 2020 brachten mir dieses Bild erneut in den Sinn: Streifen aus altem Zeitungspapier, mild gefärbt, mit Bedacht und zugleich nachlässig aufgeklebt, weil die Schnipsel mit der Zeit doch machen, was sie wollen: sie lösen sich ab, hängen, lümmeln herum, biegen, wölben, verdrehen sich mit Wetter und Wind, lassen stellenweise ihre Rückseite mit uralten Zeitungsneuigkeiten (Zahlenkolonnen, Viehpreise?) erkennen. Dreizehn Jahre lang stand dieses Werk bei uns nur im Dunkeln, verpackt. Gemein. Dann, Ende 2020 hatte ich es befreit, hervorgeholt aus unserem Kunstschrank. „Gardel“ von Ernesto Vila aus Uruguay … manche der losen Teilchen, wie sie da so traurig hingen, hatte ich dann behutsam in die alte Spur zurückgebogen, hauchdünn neu verklebt, manchen Riss, eher weniger geheilt als zu viel. Eine indirekte Art Wiedergutmachung; von 1972 bis 78 war Vila, Jg. 1936, eingesperrt, politischer Gefangener der uruguayischen Militärdiktatur. Abfallschnipsel, wertloses Zeug, das subversive Winde über die Gefängnismauern wehten, wurde damals sein Kunstmaterial. Und wenn er seither solche Collagen immer wieder verfertigte, dann war das sein Versuch, etwas Neues aus den von den Militärs zurückgelassenen Zerstörungen zu schaffen. Aus einem sehr schönen Grund, zu dessen Erklärung er lange ausholt:
“A mí me gusta Gardel pero no de una manera exagerada, no soy un fanático de Gardel. Ahora, ¿por qué entonces durante tanto tiempo y casi anualmente me he fijado hacer un Gardel?, eso sí: trato de hacerlo siempre distinto, siempre es el mismo Gardel pero el carácter formal es distinto. Sucede que en mi barrio había muchos inmigrantes, y había un sastre veterano, que se había jubilado ya, que en verano hacía el despunte en la vereda, ponía una silla en la vereda, y un día yo estaba conversando con él – yo era chico –  y le dije: mire Don Juan, yo voy a casa de los judíos, ellos hablan y yo no entiendo absolutamente nada, y ellos escuchan a Gardel; después voy a casa de los gallegos y entiendo un poquito más, y ellos escuchan a Gardel; después voy a la casa de Pan de Leche ­–en realidad era un yugoslavo que se llamaba Pandelek y nosotros le decíamos Pan de Leche – y no entiendo absolutamente nada, y allí escuchan a Gardel; luego voy a mi casa donde ahí sí entiendo todo y ahí también escuchan a Gardel… Entonces el viejo me mira y me dice: entonces Gardel es macanudo. Le pregunto por qué, ¿porque canta bien? Y me dice: no, porque nos junta. Y yo creo que es en homenaje también a ese vecino Don Juan que insisto siempre con el ícono y lo reitero”.
Vila sagt da, frei und kurz übersetzt: Gardel ist nicht der, der er ist, weil er so wunderbar singt, sondern weil er die Leute, uns und die Einwanderer im Viertel, die Juden, die Polen, die Ukrainer, die Yugos zusammenbringt. Uns alle, auch wenn wir verschiedene Sprachen sprechen. Für alle ist er immer er und zugleich jedem der Seine.